Das Auslandsstudium hängt vom Geldbeutel ab

Studierende aus bildungsfernen Familien studieren deutlich seltener im Ausland als Studierende aus bildungsnahen Elternhäusern. Einer der Hauptgründe dafür ist das fehlende Geld für ein Auslandsstudium.

Die internationale Mobilität von Studierenden ist immer wichtiger geworden: Die Bologna-Reform hat einen europäischen Hochschulraum geschaffen, in dem das Studium im Ausland die Berufschancen der Studierenden erheblich verbessern kann. Räume und Möglichkeiten für Auslandsaufenthalte während des Studiums zu schaffen, auch über die Grenzen der EU hinweg, sollte das Ziel einer weitgreifenden Mobilitätsstrategie sein. Auslandsaufenthalte liefern einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und zum Erwerb interkultureller Kompetenzen. Auch Sprachkenntnisse, die für den erfolgreichen Start auf dem Arbeitsmarkt zunehmend wichtiger sind, können vertieft oder neu erworben werden.

Nichtakademikerkinder gehen selten ins Ausland

Studierende aus bildungsfernen Familien studieren nicht nur weniger häufig, sondern gehen auch deutlich seltener für ein Studium ins Ausland als Studierende aus bildungsnahen Familien: Während sich im Jahr 2012 jeder zehnte Studierende mit bildungsfernem Hintergrund (maximal ein Elternteil mit beruflichem Bildungsabschluss) für ein Auslandsstudium entschied, war es bei den Studierenden aus bildungsnahen Familien rund jeder sechste. Aus bildungsfernen Familien erhält nur jeder achte Studierende dafür ein deutsches Stipendium (zum Beispiel von Studienförderwerken oder ein Aufsteigerstipendium), aus bildungsnahen Familien ist es jeder sechste.

Auslandsstudium scheitert an finanziellen Möglichkeiten

Unabhängig von ihrem Bildungshintergrund sind sich die Studierenden einig: Die finanzielle Mehrbelastung ist das größte Hindernis für die Aufnahme eines Auslandsstudiums. Dies gilt insbesondere für Studierende mit bildungsfernem Hintergrund: Rund 83 Prozent von ihnen nennen finanzielle Gründe als ein starkes oder sehr starkes Hindernis dafür; bei Studierenden aus bildungsnahen Familien sind dies mit 54 Prozent deutlich weniger. Ein weiteres, in diesem Zusammenhang auch finanziell getriebenes Entscheidungskriterium für oder gegen einen Auslandsaufenthalt ist die erwartete Verlängerung des Studiums und die dadurch resultierende Mehrbelastung. 42 Prozent der Studierenden mit bildungsfernem Hintergrund sehen den Wegfall von (staatlichen) Leistungen und Verdienstmöglichkeiten als ein Hindernis für einen Auslandsaufenthalt. Hierzu gehören beispielsweise Leistungen wie BAföG, welches für den Erwerb eines ausländischen Hochschulabschlusses außerhalb der Europäischen Union nicht zur Verfügung steht und für ein volles Auslandsstudium nur für Ziele innerhalb der EU und der Schweiz, nicht aber für den gesamten Bologna-Raum gilt.

Hohe Motivation, geringe finanzielle Mittel

An Motivation mangelt es Studierenden niedriger Bildungsherkunft beim Thema Auslandsstudium nicht. Auch die Informationsbeschaffung zu Mobilitätsprogrammen scheint allen Studierenden in etwa gleichermaßen gut oder schlecht zu gelingen. Zur Schaffung von chancengerechter Bildung müssen also insbesondere öffentliche Finanzierungsinstrumente verbessert werden. Die Sozialerhebung des Studentenwerks zeigt: Die BAföG-Förderung ist das zentrale Instrument für die Schaffung von Chancengerechtigkeit im Auslandsstudium. Für Studierende mit bildungsfernem Hintergrund ist BAföG die wichtigste Finanzierungsquelle: 59 Prozent von ihnen haben ihr Auslandsstudium über BAföG finanziert. Die Bedeutung des BAföG wird besonders im Vergleich zu Studierenden mit bildungsnahem Hintergrund deutlich: Nur 26 Prozent geben an, dass sie ihr Studium über BAföG finanziert haben. Dagegen werden 73 Prozent dieser Gruppe beim Studium durch ihre Eltern und Verwandten finanziell unterstützt. Neben dem BAföG finanzieren Studierende aus bildungsfernen Schichten ihre Auslandsaufenthalte vermehrt aus eigenen Verdiensten und weniger aus Stipendien.

EU-Stipendien: nicht kostendeckend

Im Vergleich zu Studierenden bildungsnaher Herkunft verfügen Studierende mit bildungsfernem Hintergrund seltener über Stipendien zur Finanzierung eines Auslandsaufenthaltes. 32,5 Prozent der Studierenden mit bildungsferner Herkunft und 41,7 Prozent der Studierenden mit bildungsnaher Herkunft finanzieren ihren studienbezogenen Auslandsaufenthalt unter anderem durch EU-Stipendien wie ERASMUS. Diese Programme sind zwar wenig kompetitiv und richten sich in ihren Förderungshöhen an verschiedenen Ländergruppen aus, schließen jedoch zum einen eine Vielzahl an Zielländern aus. Sie berücksichtigen keine Bedürftigkeit und fördern ein gesamtes Masterstudium im Ausland beispielsweise nur in Form von zinsgünstigen Krediten. Zum anderen ist die ERASMUS-Förderung seit jeher ausschließlich als Mobilitätsbeihilfe konzipiert und als Zuschuss angelegt. Dies bedeutet, sie hat weder die Möglichkeit noch den Anspruch, Auslandsaufenthalte kostendeckend zu finanzieren, sondern dient dem teilweisen Ausgleich von Mehrkosten, welche durch ein Auslandsstudium entstehen. Die weitere finanzielle Unterstützung durch Eltern, eigenen Verdienst oder eine Unterstützung nach BAföG bleibt also neben den Stipendien zwingende Voraussetzung, um Studierenden den Auslandsaufenthalt zu ermöglichen.

Finanzielle Bedürftigkeit muss stärker in den Fokus

Das BAföG als Instrument zur finanziellen Unterstützung von bedürftigen Studierenden beim Auslandsstudium ist derzeit nicht ausreichend: Studierende aus bildungsfernen Schichten gehen seltener ins Ausland als Studierende aus bildungsnahen Familien. Auf den Punkt gebracht, gibt es dafür verschiedene Gründe:

  • Mehr BAföG schafft mehr Schulden: Das Auslands-BAföG wird, wie auch die BAföG-Grundförderung, zur Hälfte als Zuschuss, zur anderen Hälfte als Darlehen gezahlt. Dies gilt für alle Auslandszuschläge mit Ausnahme der Studiengebühren, die komplett als Zuschuss gewährt werden. Dazu kommt, dass Auslandsaufenthalte häufig das Studium insgesamt verlängern, sodass sich dadurch die Schulden am Ende des Studiums noch einmal erhöhen. Anstelle zur Hälfte als Darlehen sollten Leistungen des Auslands-BAföG daher komplett als Zuschuss gewährt werden.
  • Die Förderung deckt nicht die Zusatzkosten für alle Zielländer: Die BAföG-Förderbeträge können die tatsächlichen Zusatzkosten eines Auslandsstudiums nicht vollständig kompensieren. Dies liegt, neben der Deckelung der Erstattung von Studiengebühren, insbesondere an der fehlenden regionalen Anpassung von Fördersätzen. Bei der BAföG-Fördersumme werden die regionalen Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten innerhalb der EU (inklusive der Schweiz) nicht berücksichtigt. Für ein Studium in London oder in Budapest werden beispielsweise keine Unterschiede gemacht. Das BAföG sollte sich in Zukunft an EU-Förderungen wie ERASMUS orientieren, die angepasste regionale Fördersätze haben.
  • Auslands-BAföG außerhalb der Europäischen Union ist sehr restriktiv: Außerhalb der EU wird BAföG nur für maximal ein Jahr und nur bei anrechenbaren Leistungen auf das Inlandsstudium gewährt. Damit ein avisierter Auslandsaufenthalt vor diesem Hintergrund nicht am Wegfall von BAföG-Leistungen scheitert, sollte der BAföG-Anspruch zumindest im gesamten europäischen Hochschulraum, also in allen Bologna-Staaten, die mit inzwischen 47 Mitgliedsstaaten deutlich über die EU-Grenzen hinausgehen, geltend gemacht werden können.

Empfehlungen

Um Chancengerechtigkeit für ein Studium oder ein Praktikum im Ausland herzustellen, sollte der Bund mit einer „Auslandsgarantie“ sicherstellen, dass ein Auslandsaufenthalt im Studium für keinen Studierenden in Deutschland am Geldbeutel scheitert. Hierzu müssen die staatlichen Finanzierungsmodelle, insbesondere das BAföG, verbessert werden:

  1. Das Auslands-BAföG sollte durchweg in Form von Zuschüssen, nicht mittels Darlehen zur Verfügung gestellt werden.
  2. Das Auslands-BAföG muss an tatsächliche Finanzierungsbedarfe in den Zielländern angepasst werden.
  3. Der Bezug des Auslands-BAföG sollte nicht nur in den EU-, sondern in allen Bologna-Staaten möglich sein.
  4. Alle Anbieter von Mobilitätsprogrammen sollten ihre Angebote im Hinblick auf Hürden für Studierende mit finanzschwächerem Hintergrund überprüfen.

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